Doch kein faktischer GmbH-Geschäftsführer: Finanzamt hebt Haftungsbescheide auf

Im Fall einer GmbH-Insolvenz wird das Finanzamt immer versuchen, den bzw. die Geschäftsführer für Steuerschulden der GmbH mittels Haftungsbescheid persönlich in Haftung zu nehmen. Oft kommen auch so genannte faktische Geschäftsführer ins Blickfeld des Finanzamtes. Personen also, die nicht formell als Geschäftsführer bestellt sind, aber wie ein Geschäftsführer auftreten.

In einem aktuellen Fall vor dem Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht (Az. 3 K 34/21 und 3 V 7/22) ruderte das Finanzamt jetzt zurück.

Arbeitnehmer einer GmbH laut Finanzamt faktischer Geschäftsführer

Mein Mandant war Arbeitnehmer einer GmbH, die mit Autos handelte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH prüfte das Finanzamt eine Haftungsinanspruchnahme. Dabei gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, mein Mandant sei neben der „offiziellen“ Geschäftsführerin der GmbH als faktischer Geschäftsführer tätig geworden. Das Finanzamt behauptete u. a., dass

„- der EF Generalbevollmächtigter des … Geschäftsgirokontos der Steuerschuldnerin war.

– er mehrmals in Gesprächen mit dem Finanzamt wie ein Geschäftsführer aufgetreten war.

– nach den Ermittlungen der durchgeführten Außenprüfung er und nicht die eingetragene Geschäftsführerin [im] täglichen Geschäftsbetrieb nach außen als Ansprechpartner der Steuerschuldnerin aufgetreten war.“

Das Finanzamt erließ daraufhin gegenüber meinem Mandanten Haftungsbescheide über Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Lohnsteuer mit einer Haftungssumme in Höhe von ca. 86.000,00 €. Hiergegen legte mein Mandant Einspruch ein.

Finanzgerichtsverfahren und Überraschung bei der Akteneinsicht

Der Einspruch wurde vom Finanzamt zurück gewiesen, so dass – noch vom Vorberater – Klage beim Finanzgericht erhoben wurde. Später übernahm ich das Klageverfahren und beantragte beim Finanzgericht auch die Aussetzung der Vollziehung der Haftungsbescheide.

Im Rahmen meiner Akteneinsicht stellte sich heraus, dass mein Mandant gar kein Generalbevollmächtigter des GmbH-Geschäftsgirokontos war. In den Akten befand sich zwar ein Hinweis auf eine Kontobevollmächtigung. Allerdings betraf diese Bevollmächtigung ein völlig anderes Konto – das eines Geschäftspartners der GmbH.

Auch dass mein Mandant „mehrmals in Gesprächen mit dem Finanzamt wie ein Geschäftsführer aufgetreten war“, ließ sich den Akten nicht entnehmen. Soweit das Finanzamt pauschal auf „Ermittlungen der durchgeführten Außenprüfung“ verwies, beantragte ich die Mitteilung der Besteuerungsunterlagen (§ 75 FGO).

Finanzamt hilft ab

Nachdem ich dies in der Klage- und Antragsbegründung vortrug, hob das Finanzamt die Haftungsbescheide auf:

„Nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhalts, unter der Berücksichtigung der in der Klagebegründung vorgetragenen Argumente, sieht das Finanzamt … eine faktische Geschäftsführung des Klägers nicht mehr als erwiesen an. Dem Klagebegehren wird vollständig entsprochen.“

Der Rechtsstreit wurde beiderseits in der Hauptsache für erledigt erklärt. Jetzt war nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.

Finanzamt hat auch Kosten des Rechtsstreits zu tragen

Das Finanzamt beantragte, meinem Mandanten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Zwar habe das Finanzamt dem Begehren meines Mandanten entsprochen (Rücknahme der Haftungsbescheide). Allerdings beruhe die Stattgabe auf einem verspäteten Tatsachenvortrag.

Dazu erwiderte ich, dass sich die Klagebegründung allein auf den Inhalt der Haftungsakten des Finanzamtes bezog, die erstmals im Klageverfahren eingesehen werden konnten. Daraus hätten sich Fehler bei der Sachverhaltsermittlung und der Ermessensausübung ergeben, die allein in der Sphäre des beklagten Finanzamtes liegen. Neuer Tatsachenvortrag sei im Klageverfahren nicht erfolgt, sondern lediglich eine Bezugnahme auf den Akteninhalt nebst rechtlichen Ausführungen hierzu. Der Inhalt der eigenen Akten sei dem Beklagten bekannt, somit komme denknotwendig kein verspäteter Sachvortrag in Betracht. Wenn der Beklagte den Sachverhalt nach Aktenlage falsch oder unvollständig auswertet, könne dies nicht dem Kläger angelastet werden. Hervorzuheben sei, dass das Finanzamt die Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme von Amts wegen zu prüfen hatte.

Dies wurde auch vom Finanzgericht so gesehen und dem Finanzamt wurden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Praxis-Tipp

Bei einer GmbH-Insolvenz prüft das Finanzamt immer, ob es den bzw. die Geschäftsführer für Steuerschulden der GmbH persönlich in Haftung nehmen kann. Als Haftungsnormen kommen meist §§ 69, 34 Abs. 1 AO und bei faktischer Geschäftsführung § 35 AO in Betracht.

Anhand des geschilderten Falls zeigte sich wieder einmal, wie wichtig die Akteneinsicht und die Arbeit am Sachverhalt ist. Geht das Finanzamt von einem falschen Sachverhalt aus (hier: angebliche Kontovollmacht für das GmbH-Geschäftskonto), dann ist die Haftungsinanspruchnahme rechtswidrig. Der vom Finanzamt behauptete Sachverhalt muss also immer kritisch hinterfragt werden.

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