Haftung für (verfassungswidrige) Säumniszuschläge?

Die steuerrechtliche Haftung umfasst auch die Säumniszuschläge (§ 240 AO), wenn die Haftungsnorm das vorsieht. Das ist beispielsweise bei der Vertreterhaftung der Fall (§ 69 S. 2 AO): Der Geschäftsführer haftet beispielsweise für die bei der GmbH entstandenen Säumniszuschläge, wenn diese auf einer grob schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers beruhen.

Es bestehen jedoch ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge (12 % pro Jahr).

Höhe der Säumniszuschläge verfassungsrechtlich zweifelhaft

Im Beschluss vom 26.05.2021, VII B 13/21, äußerte der BFH erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an der Höhe der Säumniszuschläge für Jahre ab 2012 und setzte die Vollziehung (eines Abrechnungsbescheides) in Höhe der hälftigen Säumniszuschläge (6 %) aus.

Mit Beschluss vom 23.05.2022, V B 4/22 (AdV), bejahte der BFH sodann ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel, soweit die Säumniszuschläge nach dem 31.12.2018 entstanden sind. Die ernstlichen Zweifel erstrecken sich auf die gesamte Höhe (also 12 %) der Säumniszuschläge.

„Der Senat … teilt … die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO. Denn es ist in Rechtsprechung und überwiegend auch im Schrifttum anerkannt, dass Säumniszuschlägen auch die Funktion einer Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zukommt … Da die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder -widrig sein kann, weil es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt, erfassen die ernstlichen Zweifel die gesamte Höhe der Säumniszuschläge.“

Zwischenzeitlich hat auch der 8. Senat des BFH mit Beschluss vom 11.11.2022, VIII B 64/22 (AdV) verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge bejaht. Anderer Auffassung ist dagegen der 6. Senat des BFH, z. B. Beschluss vom 28.10.2022, VI B 31/22 (AdV).

Auswirkung auf die Haftung für Säumniszuschläge

Diese verfassungsrechtlichen Zweifel „schlagen“ aufgrund des Akzessorietätsgrundsatzes auch bei der Frage der Haftung für Säumniszuschläge „durch“, so dass insoweit ernstliche Zweifel an einer Haftungsinanspruchnahme für Säumniszuschläge in rechtlicher Hinsicht bestehen – jedenfalls für nach dem 31.12.2018 entstandene Säumniszuschläge (FG Baden-Württemberg, 02.05.2023, 6 V 2731/21; FG Berlin-Brandenburg, 10.06.2020, 9 V 9266/19).

Praxis-Tipp

Der Schuldner der Säumniszuschläge (Steuerschuldner) muss ernstliche Zweifel gegen deren Höhe durch Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheides (§ 218 Abs. 2 AO) geltend machen. Gegen den Abrechnungsbescheid muss er Einspruch einlegen und er kann die Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheides beantragen.

Der Haftungsschuldner kann im Haftungsverfahren Einwendungen gegen die Höhe der Hauptschuld (hier: Säumniszuschläge) vorbringen. § 166 AO (Drittwirkung der Steuerfestsetzung) ist im Erhebungsverfahren, insb. auf einen Abrechnungsbescheid, nicht anwendbar.

Achtung: Wenn die Säumniszuschläge aber widerspruchslos zur Insolvenztabelle angemeldet wurden, ist der Vertreter (z. B. Geschäftsführer) mit Einwendungen gegen die Höhe der Säumniszuschläge ausgeschlossen.

Dieser Beitrag wurde zuletzt am 24.05.2023 aktualisiert.