Kirchensteuer: Keine Haftung nach § 71 AO wegen Steuerhinterziehung

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder daran teilnimmt, der haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für Zinsen (§ 71 AO). Aber umfasst die Haftung nach § 71 AO auch die verkürzte Kirchensteuer?

Finanzamt erlässt Haftungsbescheid (auch) für Kirchensteuer

In einem von mir geführten Verfahren vor dem Thüringer Finanzgericht gegen einen Haftungsbescheid geht es u. a. um die Frage, ob für Kirchensteuer eine Haftung gemäß § 71 AO in Betracht kommt. Nach meiner Auffassung ist die Frage zu verneinen. Man muss aber – insbesondere bei älteren Sachverhalten – immer das jeweils einschlägige Kirchensteuergesetz berücksichtigen.

Strafgerichtliche Rechtsprechung: Keine Kirchensteuer-Hinterziehung

In einer Entscheidung vom 25.03.2021 kommt der BGH (Az. 1 StR 242/20) – wie schon in 2008 – zu dem Schluss, dass die Verkürzung von Kirchensteuer keine Steuerhinterziehung darstellt. Kirchensteuern sind keine Steuern i. S. v. § 370 AO, da sie nicht durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union (§ 1 Abs. 1 AO), sondern durch Landesrecht geregelt sind.

Eine Strafbarkeit nach § 370 AO kommt nur in Betracht, wenn das Landesrecht auf diese Vorschrift ausdrücklich verweist (vgl. Art. 4 Abs. 3 EGStGB). Die Kirchensteuergesetze der Länder verwiesen früher zum Teil auf die Strafvorschriften der AO. Als letztes Bundesland hob Sachsen im Jahr 2019 eine Verweisung im SächsKiStG auf §§ 369ff. AO auf (§ 12 Abs. 1 SächsKiStG n. F.).

BGH, 25.03.2021, 1 StR 242/20

Der Angeklagte hatte erhaltene Bestechungsgelder nicht in seiner Einkommensteuererklärung angegeben. Das LG verurteilte ihn u. a. wegen Hinterziehung von Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer. Zu Unrecht, so der BGH:

„Der Senat hat den Vorwurf der Hinterziehung von Kirchensteuer … gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO von der Strafverfolgung ausgenommen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts stellt die durch die Einreichung einer unvollständigen Einkommensteuererklärung neben der Verkürzung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zugleich bewirkte Verkürzung von Kirchensteuer keine Steuerhinterziehung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2008 – 5 StR 547/07 Rn. 18 …

Ob mit Blick auf die verkürzte Kirchensteuer eine Strafbarkeit wegen tateinheitlich verwirklichten Betruges (§ 263 StGB) vorliegt, ist bisher nicht entschieden (offen gelassen in BGH, Beschluss vom 17. April 2008 – 5 StR 547/07 Rn. 19 f. mwN …“

Auswirkung auf die Haftung nach § 71 AO

Da aber § 71 AO „eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei“ voraussetzt, kommt eine Haftung für Kirchensteuer nach dieser Haftungsnorm nicht in Betracht. Die Vorschrift gilt nicht bei Betrug (§ 263 StGB), so jedenfalls vom BFH zum Subventionsbetrug (§ 264 StGB) – konkret: „Erschleichen“ einer Investitionszulage – entschieden (BFH, 19.12.2013, III R 25/10).

Teilweise Abhilfe im Klageverfahren

Nachdem ich dies in der Klagebegründung vortrug, half das beklagte Finanzamt ab und erstattete die bereits gezahlte Haftungssumme, soweit sie auf Kirchensteuer entfiel, an meinen Mandanten zurück.

[Update 17.02.2022] Das Finanzamt nahm den Haftungsbescheid teilweise zurück, soweit er sich auf die Kirchensteuer bezog. Danach wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt.

Achtung!

Wenn für einen kirchensteuerpflichtigen Mandanten eine Selbstanzeige erstellt wird, ist denkbar, dass hinsichtlich Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag Strafbefreiung eintritt, aber hinsichtlich der Kirchensteuerverkürzung nicht, da § 371 AO ausdrücklich nur für „Steuerstraftaten … nach § 370 AO“ (also Steuerhinterziehung) gilt. Durch die Selbstanzeige würde man daher selbst ggf. einen Betrug aufdecken und eine entsprechende Strafverfolgung riskieren.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.