
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg erließ am 20.03.2025, 9 V 9049/25 (rechtskräftig) eine spannende Entscheidung zu einem typischen Problem in der Praxis:
Was kann der Steuerpflichtige tun, wenn er einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) beim Finanzanzgericht gestellt hat, über den noch nicht entschieden ist, das Finanzamt aber trotzdem vollziehen bzw. vollstrecken will?
Sachverhalt
Das Finanzamt A erließ gegenüber dem Antragsteller einen auf §§ 69, 34, 71 AO gestützten Haftungsbescheid, gegen den er Einspruch einlegte. Die zugleich beantragte AdV lehnte das Finanzamt ab.
Nunmehr
„beantragte der Antragsteller bei Gericht für die Dauer des Einspruchsverfahrens gemäß § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO) Aussetzung der Vollziehung. Das Verfahren, über das noch nicht entschieden ist, wird unter dem Aktenzeichen 9 V 9030/25 geführt. Der Antragsteller beantragte für die Begründung seines Antrags zunächst Akteneinsicht, die noch zu gewähren ist.“
Das Finanzamt A kündigte aber unterdessen gegenüber dem Finanzgericht an, die Haftungsforderung an das Finanzamt B abtreten zu wollen, damit das Finanzamt B mit der Haftungsforderung gegen einen Steuererstattungsanspruch des Antragstellers aufrechnen könne.
Daraufhin stellte der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dem Finanzamt vorläufig die Abtretung zu untersagen.
Entscheidung
Das Finanzgericht hielt den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für zulässig, obwohl ein solcher (nachrangiger) Antrag nicht in Betracht kommt, wenn ein AdV-Verfahren gemäß § 69 FGO geführt wird (§ 114 Abs. 5 FGO).
Die Vorgehensweise des Finanzamtes widerspreche aber
„dem grundsätzlichen ‚Recht‘ i. S. d. § 114 Abs. 1 FGO des Antragstellers auf eine ungestörte Durchführung des Verfahrens nach § 69 FGO. Dieses Recht ist eine Ausprägung der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 … GG. Es beinhaltet, dass die Finanzverwaltung während eines schwebenden gerichtlichen Aussetzungsverfahrens von der Vollstreckung des zur gerichtlichen Überprüfung nach § 69 FGO gestellten Verwaltungsaktes Abstand zu nehmen hat …
Der Antrag ist begründet. … Für die Dauer eines gerichtlichen Aussetzungsverfahrens muss die Vollstreckung zum Stillstand kommen …“
Überwiegende, besonders wichtige Gründe für einen sofortigen Vollzug seien vom Antragsgegner (Finanzamt) darzulegen und glaubhaft zu machen, was im konkreten Fall nicht geschah.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof (BFH) wurde zugelassen:
Es ist …– soweit ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich geklärt, ob es für die Dauer des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens ein Recht des Antragstellers auf ungestörte Durchführung des Verfahrens und damit ein Recht auf Stillstand des Vollstreckungsverfahrens seitens der Finanzbehörde gibt.“
Gleichwohl ist der Beschluss rechtskräftig geworden.
Praxis-Tipp Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg schließt sich der Auffassung an, dass ein Recht auf ungestörte Durchführung des AdV-Verfahrens bestehe. Anderer Auffassung z. B. das Sächsische Finanzgericht, 29.08.2025, 4 V 1061/25, Rn. 14: „Der Senat folgt …nicht der in Teilen der Rechtsprechung vertretenen Auffassung dahingehend, es bestehe ein generelles Recht auf eine ungestörte Durchführung des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens mit der Folge, dass die Finanzverwaltung während eines gerichtlichen Aussetzungsverfahren regelmäßig nicht vollstrecken darf (vgl. z.B. … FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.03.2025, 9 V 9049/25 …).“ Beachte auch Abschn. 5 Abs. 4 S. 3 VollStrA: Will das Finanzamt vor der AdV-Entscheidung des Finanzgerichts vollstrecken, hat es mit dem Gericht wegen des weiteren Vorgehens Verbindung aufzunehmen. Im Normalfall vollstreckt das Finanzamt auch nicht, solange über einen beim Finanzgericht anhängigen AdV-Antrag noch nicht entschieden wurde. |
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